Experteninterview zur Gepäckverfolgung und der IATA Resolution 753

Roland Karch ist Strategic Industry Manager Airports bei SICK. In dieser Funktion ist er nah dran an den Anforderungen und den aktuellen Trends der Luftfahrtbranche. So entsteht wichtiges Know-how, das SICK hilft, der Branche passende Lösungen anzubieten. Die lückenlose Verfolgung von Fluggepäck ist da nur ein Thema – aber ein gutes Beispiel für die Leistungsfähigkeit und Vielfalt der Sensorlösungen von SICK.

Was passiert mit dem Gepäckstück, wenn es am Schalter abgegeben wird? 

Mehr als man denkt. Die Fluggesellschaft oder der für die Fluggesellschaft tätige Bodenabfertiger generiert eine Baggage Source Message, kurz BSM. Die BSM beinhaltet u. a. die Flugnummer, das Flugdatum, das Flugziel, den Passagiernamen und eine eindeutige Kennzeichnung, die die sogenannte LPN (Licence Plate Number) enthält. Diese LPN ist eine zehnstellige Nummer, die sowohl in Klarschrift als auch in Form eines Barcodes auf das Gepäcklabel gedruckt wird.

 

Nach Anbringen des Labels wird das Gepäckstück der Gepäckförderanlage zugeführt. Dort wird es beim Durchlaufen von Röntgengeräten auf verdächtige Substanzen untersucht und gelangt schließlich, nach unter Umständen sehr langen Wegen, zur Gepäckverladung. 

 

Wie funktionieren die Gepäckaufgabe und der Gepäcktransport an einer Self-Service-Station? 

An Self-Bag-Drop-Stationen führt der Passagier die Gepäckaufgabe selbst durch. Es gibt grundsätzlich zwei verschiedene Self-Bag-Drop-Prozesse: den One-Step- und den Two-Step-Prozess. Beim One-Step-Prozess finden die Gepäcklabelausgabe und der eigentliche Gepäckabgabe-Prozess an ein und demselben Schalter statt. Der Passagier erhält an diesem Schalter das Gepäcklabel, das er am Gepäckstück befestigt. Danach übergibt er das Gepäckstück dem Self-Bag-Drop-Automaten zum Einschleusen in die Förderanlage. Bei vollautomatischen Systemen wird der auf das Gepäcklabel gedruckte Barcode entweder im Stillstand (statisch) oder im Durchlauf (dynamisch) von Barcodescannern gelesen. Weitere automatisierte Funktionen des Self-Bag-Drop-Systems sind die Überprüfung des Gepäckstücks auf Übergröße und Überlänge, die Ermittlung des Gewichts und des Volumens. Optional können 3D-Sensoren das Gepäckstück auf Förderbarkeit in der Anlage überprüfen. So werden z. B. Gepäckstücke identifiziert, die in der Gepäckanlage zu Beschädigungen führen könnten. Der Passagier wird daraufhin gebeten, sich mit diesem Gepäckstück an den Sonder- oder Sperrgepäckschalter zu begeben. 

Um Manipulationen auszuschließen, detektieren Sensoren Eingriffe in den Self-Bag-Drop-Automaten (Intrusion Detection) und stoppen in diesem Fall den Gepäckaufgabeprozess. 

 

Do-it-yourself. Die Scanner übernehmen die Arbeit. 

Im Two-Step-Prozess verlaufen die Ausgabe des Gepäcklabels und die Gepäckaufgabe getrennt. Bei vielen Fluggesellschaften kann der Passagier den Check-in bereits zu Hause online vornehmen oder an einem Check-in-Kiosk am Flughafen durchführen. An diesem Kiosk kann er sich den Boardingpass und auch das Gepäcklabel ausdrucken. Bietet die Fluggesellschaft die Möglichkeit einen Home Printed Bag Tag (HPBT) zu verwenden, kann der Passagier sein Gepäcklabel bereits zu Hause ausdrucken. Die modernste und komfortabelste Variante bieten so genannte e-tags. Das sind Permanent Tags, an die der Passagier mithilfe einer App auf seinem Smartphone und via Bluetooth die aktuellen Flugdaten überträgt. Diese werden dann – wie auf dem traditionellen Papierlabel – auf dem Display des e-tags angezeigt. In allen Fällen muss der Fluggast dann nur noch sein Fluggepäck am Self-Bag-Drop-Automaten abgeben. Im Self-Bag-Drop-System verlaufen die automatisierten Funktionen „Barcode lesen“, „Übergröße und Überlänge detektieren“ etc. beim One-Step- und Two-Step-Prozess gleich. Für alle diese Funktionen bietet SICK die entsprechenden Lösungen.

 

Mit welcher Technologie lassen sich Gepäckstücke verfolgen?

Um Gepäcklabels zu lesen, werden in der Gepäckfördertechnik heute grundsätzlich drei Technologien eingesetzt: Laser-, Kamera- und RFID-Technologie.

 

Worin liegen die Unterschiede zwischen Laser-, Kamera- und RFID-Technologie?

Zum Lesen des Barcodes, der auf dem Gepäcklabel aufgedruckt ist, wird herkömmlicherweise ein Barcodescanner auf Basis von Lasertechnologie verwendet. Dies kann ein einfaches Handlesegerät sein oder ein aus mehreren einzelnen Barcodescannern aufgebautes sogenanntes ATR-System (Automated Tag Reading). ATRs werden da eingesetzt, wo hohes Gepäckaufkommen ein automatisiertes Lesen notwendig macht. Beispielsweise an den Stellen der Gepäckförderanlage, an denen die Gepäckstücke eindeutig der Röntgenaufnahme zugeordnet werden müssen, und beim Sortierprozess, um die Gepäckstücke auf ihrem langen Weg durch die Gepäckförderanlage automatisch der zugewiesenen Gepäckverladestation zuzuführen.

 

Kameras steigern die Performance.

Alternativ werden ATRs heute auch mit Kameras ausgerüstet. Mit dieser Technologie können die bisher schon sehr guten Leseraten weiter verbessert werden. Leseraten sind übrigens ein Indikator für die Performance des Systems. Ein zusätzlicher Vorteil eines kamerabasierten ATR-Systems liegt darin, dass man die aufgenommenen Bilder in einem nachfolgenden Prozessschritt mithilfe von Optical Character Recognition (OCR) und Video Coding auswerten kann. Dies ist besonders dann sehr nützlich, wenn im Rechner der Gepäckförderanlage die notwendigen Daten – die Informationen der BSM (Baggage Source Message) – zum Weitertransport innerhalb der Anlage nicht vorhanden sind. OCR und Video Coding ermitteln dann zusätzliche Informationen (z.B. die Flugnummer), durch die das Gepäckstück ohne Zeitverlust und aufwändige manuelle Arbeit an einer MES (Manual Encoding Station) direkt an die richtige Gepäckverladestelle transportiert wird.

Bei diesen beiden Technologien – Laser oder Kamera – muss das Gepäcklabel sichtbar sein. Ein Label, das z. B. durch einen Frequent-Flyer-Anhänger verdeckt ist oder sich auf einem Kippschalensorter unter dem Koffer befindet, kann nicht gelesen werden. 

 

RFID – unsichtbar in die Zukunft. 

Als dritte Technologie wird im Gepäckbereich die RFID-Technologie eingesetzt. Hier wird ein Transponder als Speichermedium für die Daten verwendet. Der große Vorteil liegt darin, dass das Label nicht zwangsläufig für das Lesegerät sichtbar sein muss. Auch können mehr Informationen im RFID-Transponder abgelegt werden – verglichen mit dem Dateninhalt eines Papierlabels.  

Der Nachteil ist die noch nicht flächendeckende Verbreitung der nötigen Infrastruktur. Da Drucker, automatische Lesesysteme, Handlesegeräte und IT-Systeme auf das Lesen von Informationen, die auf Papierlabels gedruckt sind, ausgelegt sind, ist heute noch in den meisten Fällen beim Einsatz von RFID die Verwendung eines Hybridlabels (Papier mit integriertem RFID) notwendig.  

Bereits vor Jahren wurde die Infrastruktur der größeren Flughäfen in Australien auf Basis von RFID ausgerüstet. Somit kann diese Technologie auf den Inlandsflügen in Australien durchgängig und sehr erfolgreich eingesetzt werden – und das ohne das bekannte Papierlabel. Bei Flügen, die von Australien über die großen Luftfahrt-Drehkreuze nach Europa oder Nordamerika gehen, muss jedoch zwangsläufig auf das Papierlabel zurückgegriffen werden. 

Doch sehen wir aktuell verstärkt den Trend zur RFID-Technologie, vor allem in den USA und in China.

 

Weshalb ist es wichtig die Anzahl der „mishandled bags“ zu reduzieren? 

Durch verschiedene Verbesserungsprozesse beim Gepäcktransport hat sich in den vergangenen Jahren die Anzahl der „mishandled bags“ – verspätetes, beschädigtes oder verlorenes Fluggepäck ¬– reduziert. Jedoch wurden laut dem jährlichen SITA „Baggage Report“ allein im Jahr 2016 noch immer Kosten in Höhe von 2,1 Milliarden USD durch „mishandled baggage“ verursacht. Im Jahr 2018 waren das sogar bereits 2,4 Milliarden USD, was sich aus stetig steigenden Fluggastzahlen erklärt. Nicht nur diese Aufwendungen sind der Anreiz für weitere Anstrengungen der gesamten Industrie – auch steht für jede Fluggesellschaft das gute Image auf dem Spiel. Denn Kundenzufriedenheit ist ein wichtiger Bestandteil der Kundenbindung.

 

Worum geht es bei der neuen IATA Resolution 753? Was genau ändert sich? 

Kurz gesagt verpflichten sich die Fluggesellschaften, die Mitglied der IATA sind, eine exakte Inventurliste des Fluggepäcks zu führen – von der Entgegennahme des Gepäckstücks bis zur Rückgabe an den Passagier.

Für die Fluggesellschaften bedeutet das, dass sie auf dem gesamten Transportweg die lückenlose Verfolgung von Gepäck – vom Start einer Reise bis zu ihrem Ende – dokumentieren müssen. Inklusive aller Verantwortlichkeiten. Schwachstellen auf dem bisweilen langen Weg des Gepäckstückes werden durch dieses durchgängige Tracken verlässlich identifiziert und verbessert.

 

Wie tragen SICK-Produkte zur Umsetzung der Resolution 753 bei? 

Vor allem im Transit- und im Ankunftsbereich sind heute noch Lücken in der Gepäckidentifikation vorhanden. Hier kann SICK die Basisarbeit leisten, um die IATA Resolution 753 zu erfüllen: das Lesen der Informationen, die auf das Gepäcklabel gedruckt bzw. in einem RFID-Transponder gespeichert sind. Erst damit wird ein durchgängiges Tracken des Fluggepäcks möglich. Dies führt letztlich bei den Fluggesellschaften zu den erwünschten Kostenreduzierungen für „mishandled baggage“ und erhöht zusätzlich die Kundenzufriedenheit.

 

SICK ist mit der weltweit größten installierten Basis für automatische Lesesysteme für Fluggepäcklabels der Marktführer in diesem Industriesegment. Die ersten Systeme hat SICK im Jahr 1990 auf dem Flughafen Paris Charles de Gaulle in Betrieb genommen. Heute sind Lesesysteme von SICK auf den größten Flughäfen der Welt installiert, in Atlanta Hartsfield-Jackson, Dubai International, Tokyo Haneda, London Heathrow, Hong Kong International und vielen mehr. Weltweit kann SICK nicht nur die geeigneten Produkte und Systemlösungen anbieten, SICK kann vor allen Dingen die Anforderungen des Kunden aufnehmen und entsprechend beraten. Und zwar so qualifiziert, dass der Kunde die für ihn geeignete Lösung ausgearbeitet bekommt. Dazu hat SICK weltweit kompetente Mitarbeiter, die auf viele Jahre Erfahrung zurückblicken können. Gleichgültig welche Technologie letztlich für die jeweilige Anwendung in Frage kommen wird – die SICK-Mitarbeiter stellen das Anliegen des Kunden in den Mittelpunkt und erarbeiten gemeinsam mit ihm die beste Lösung.

 

Auch nach einem erfolgreich abgeschlossenen Projekt endet für SICK die Zusammenarbeit noch lange nicht. Die After-Sales-Betreuung ist für uns ein wichtiger Bestandteil der Partnerschaft mit dem Kunden. Weltweit sorgen heute SICK-Service-Mitarbeiter für einen reibungslosen Betrieb der Fluggepäckförderanlagen.

 

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