„Digital first“ alleine schafft noch keinen Mehrwert

23.07.2021

Fabian Schmidt, Head of Digital Manufacturing bei SICK, erklärt, wie für ihn „Growth Mindset“, sinnvolle Digitalisierung und eingelöste Nutzenversprechen zusammenhängen.

SICK Blog Digital First Image
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Mindset als Antrieb oder Bremse? Für Fabian Schmidt ist das eine Frage der (Unternehmens)Kultur. Er unterscheidet zwischen dem „Fixed Mindset“, das mit einer festgefahrenen Denkweise daherkommt und dem „Growth Mindset“, das es ermöglicht, neue Wege einzuschlagen, sich auf neues Terrain vorzuwagen. „Das heißt für mich auch, dass positive Beispiele im täglichen Tun viel mehr bewirken als eine Top-Down-Ansage. Wer seine Einstellung ändert, tut das nur, wenn er verstanden hat, warum diese Veränderung nützlich oder notwendig ist. Diese Denkweise ist auch in Bezug auf digitale Transformation sinnvoll: Was kann ich heute machen, damit es in Zukunft besser wird?“, sagt der Head of Digital Manufacturing bei SICK.

Digital Manufacturing Team bei SICK: digitale
Lösungen für das Intelligent Supply Network

Den „Growth Mindset“ vorzuleben, sieht Schmidt auch als seine Aufgabe im Team. Anfang des Jahres 2021 hat sich bei SICK das Digital Manufacturing Team gegründet, das er gemeinsam mit Thomas Adolph leitet. Dabei ist für ihn das Wichtigste eine stimmige Vision: „Als Team müssen wir wissen, wohin wir gehen möchten. Aus der Vision leiten wir unsere konkreten Aufgaben ab. Bleibt die Vision abstrakt oder wird die übergeordnete Aufgabe nicht mit konkreten Schritten verbunden, fällt es schwer darauf hinzuarbeiten. Unser zentrales Ziel ist die digitale Transformation von unserem globalen Intelligent Supply Network. Darunter fällt alles, was zum Produktionsprozess gehört: von der Rohmaterialbeschaffung über die Fertigung bis hin zur Auslieferung. Wir fokussieren uns als Team auf die Fertigung, dort möchten wir die Digitalisierung vorantreiben. Wir starten dabei immer mit der Frage ‘Was ist unser Nutzenversprechen?‘ Unsere Mission ist, für das Intelligent Supply Network digitale Lösungen zu finden und damit einen Wettbewerbsvorteil generieren.“

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Digital in der Produktion

Dabei ist für ihn das Schlagwort „Digitalisierung“ keine realitätsferne Zukunftsmusik, sondern wirklich ein greifbares, unverzichtbares Element im Alltag – solange der Nutzen klar ist. „Zukunft ist etwas Vages, aber irgendwo muss man anfangen. Deshalb müssen wir Digitalisierung für uns so konkret wie möglich machen. Früher bekamen unsere Werker ihre Informationen ausgedruckt in einer Arbeitsmappe. Da mussten sie zig Seiten durchblättern, um die Infos zum gerade relevanten Arbeitsschritt zu erhalten. Heute kommen diese Infos digital. Damit fällt das Blättern weg. Aber ist das allein jetzt ein Mehrwert? Mehrwert entsteht erst dann, wenn ich die abgebildeten Infos zum Beispiel mit dem gerade durchzuführemden Arbeitsschritt verknüpfe, also einen maßgeschneiderten Informationsfluss erzeuge, der Zeit spart. Vielleicht tragen Werker zukünftig ja auch smarte Brillen, die die Anleitung direkt optisch auf die Arbeitsumgebung projizieren? Vielleicht ändert sich ihre Rolle auch komplett. Vielleicht haben sie eher die Aufgabe, Maschinen zu überwachen, als Arbeitsschritte selbst auszuführen?“

Mit den richtigen Informationen die Komplexität beherrschen

Fabian Schmidt sieht zwei Entwicklungen, die die zukünftige Arbeitswelt beeinflussen. Automatisierung und Digitalisierung werden beide dazu führen, dass Arbeitsschritte, die heute ein Mensch macht, wegfallen. „Beide Faktoren führen aber gleichzeitig zu einer erhöhten Komplexität im Produktionsumfeld, es gibt mehr Software und mehr Maschinen. Und diese Komplexität muss irgendwie beherrschbar werden. Deshalb glaube ich nicht, dass der Mensch aus der Fabrik verschwindet. Auf absehbare Zeit ist der Mensch, seine Intelligenz und seine Kreativität unersetzlich. Er ist das Zentrum des Ganzen. Aber es wird wichtiger, dass er mit den richtigen Informationen versorgt wird, um diese Komplexität zu beherrschen. Dass eine sogenannte Superintelligenz, die dem Menschen ebenbürtig ist, erschaffen wird, das sehe ich erstmal nicht – aber da gehen die Meinungen auseinander.“

Digitalisierung mit Augenmaß

Auch von pauschalen Aussagen wie „digital first“ hält Schmidt übrigens nichts: „Die wichtigste Frage ist: Was willst du erreichen? Welchen Nutzen willst du generieren? Der rein technologiegetriebene Ansatz, den ich in den letzten Jahren oft beobachtet habe, bringt uns nicht weiter. Eine Technologie einzusetzen, nur weil es sie gibt, ist nicht sinnvoll. Nur weil es beispielsweise Machine Learning gibt, muss das nicht die beste Lösung für mein Projekt sein. Vielleicht gibt es ein einfacheres, kostengünstigeres Verfahren, das viel besser passt. Wenn ich mich von vorneherein auf eine digitale Lösung festlege, schränkt mich das im Lösungsraum ein.“

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Aber wie lässt sich schnellstmöglich feststellen, welche Lösung die richtige ist? Zur Beantwortung dieser zentralen Frage, setzt Schmidt und sein Team auf eine Kombination aus agilem Arbeiten und dem Minimum Viable Product (MVP), ein erster, minimal funktionsfähiger Prototyp der Lösung oder des Produkts. „Wenn ich eine Verbesserung auf den Weg bringen möchte, sollte ich sicher sein, dass es auch wirklich eine Verbesserung ist. Deshalb muss ich meine Idee so früh wie möglich überprüfen.“ Dabei helfen können crossfunktionale Teams und eine agile Arbeitsweise, bei der schon früh unterschiedliche Fachexpertisen zusammengebracht werden. „Bei Digital Manufacturing hat sich ein interdisziplinäres Team etabliert. Die Produktionsplaner und Software-Entwickler denken über das gleiche Problem nach und kommen dabei immer zu verschieden Resultaten. Das geht schneller und ist innovativer, weil aus unterschiedlichen Perspektiven auf das Problem geschaut wird.“

Bereichsübergreifende Zusammenarbeit: „Jeder soll verstehen, was der andere macht“

Lösungen, die aus der Zusammenarbeit agiler Teams entstehen, sind oft Minimum Viable Products. Für Fabian Schmidt die beste Möglichkeit schnell zu überprüfen, ob eine Lösung ihr Nutzenversprechen in der Realität hält: „Das ist die kleinstmögliche Lösung, mit der wir zum Nutzer gehen können. Es ist noch nicht die hundertprozentige Lösung. Doch mit kleinen Feedbackschleifen merken wir schnell, ob wir mit einer Idee der richtigen Vermutung nachgegangen sind.“ Fabian Schmidt vergleicht die Vorgehensweise des MVP im internen Kontext auch mit der Digitalisierung der Fertigung: „Wenn wir über eine Digitalisierung der Fertigung sprechen, ist es entscheidend, jede digitale Veränderung direkt mit den Kolleginnen und Kollegen zu prüfen, deren Arbeit sie erleichtern soll. Sie sind schließlich die Experten. Nur, wenn wir das besonders gut machen, erarbeiten wir uns einen Wettbewerbsvorteil. Denn natürlich will jeder seine internen Prozesse verbessern. Wir haben uns im Digital Manufacturing darauf konzentriert, wirklich bereichsübergreifend zu arbeiten. Jeder soll verstehen, was der andere macht. Nur so entsteht digitaler Mehrwert für die Realität.“