Konzeptsensoren: Die Zukunft gemeinsam entwickeln

17.11.2021

GO BEYOND. Discovery #15 

Neue Anwendungsfelder, neue Sensorlösungen: Die Digitale Transformation der Industrie stellt uns täglich vor neue Herausforderungen. Bei der Entwicklung von Konzeptsensoren werden Kunden und Partner von Anfang an mit eingebunden – um alle Kompetenzen bestmöglich zu nutzen. Doch was bedeutet das für den Produktentwicklungsprozess konkret? Fragen an Kollegen aus Forschung & Entwicklung, Produktmanagement und Vertrieb.

Bei der Entwicklung von Konzeptsensoren werden Kunden und Partner von Anfang an mit eingebunden.
Bei der Entwicklung von Konzeptsensoren werden Kunden und Partner von Anfang an mit eingebunden.

Was versteht SICK unter „Konzeptsensoren“ und woher kommt dieser Begriff?

Tobias Güttler, Vertrieb: Klassischerweise entstehen Produktkonzepte in Entwicklungsprozessen auf dem Papier, mit detaillierten Betrachtungen aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln. Wir wollen aber ein Produktkonzept „zum Anfassen“ für unsere Kunden und binden sie von Anfang an mit ein. Das bedeutet, dass wichtige Leitkunden aus dem industriellen Umfeld ein Produkt bekommen, das sie in ihren Anlagen verbauen und ausprobieren und uns dazu unmittelbar Feedback geben. Die Wortwahl „Konzeptsensor“ war eine bewusste Entscheidung gegen den Begriff „Prototyp“, denn wir entwickeln mit einem Konzept bereits in den frühen Entwicklungsphasen ein schnell greifbares, nutzbares Produkt für einzelne Kunden. Die Markt- und Serienreife ist nachgeordnet.

Felix Lang, Research & Development (R&D): Wir haben uns auch Inspiration aus der Automobilbranche geholt: Auf den Leitmessen sorgen die „concept cars“ immer wieder für großes Aufsehen. Da geht es um feinste Technologie, die noch nicht in Serie herstellbar ist. Das Wichtigste für die Autobauer dabei ist das Feedback der Kunden! Einerseits wollen R&D-Abteilungen immer den Technologie-Push und der größte Wunsch eines jeden Entwicklers ist, das Neue in der tatsächlichen Anwendung zu sehen. Wir bei SICK verstehen aber, dass der Kunde nicht zwingend ein neues Produkt, sondern eine Lösung für sein Problem sucht.

Wie entstehen Ideen für neue Konzeptsensoren?

Maike Syassen, Produktmanagement: Wenn wir von Technologie-Push sprechen, gibt es immer Ideenfelder, in denen wir noch nicht so „zu Hause“ sind. Hier arbeiten wir mit dem Kunden zusammen an Anwendungen, die noch nicht zufriedenstellend gelöst sind bzw. auf eine neue Art besser gelöst werden können. Voraussetzung dafür ist immer ein gutes Anwendungs- und Marktverständnis.

Holger Lehmitz, Produktmanagement: Die Aufgabenstellung gibt uns der Kunde. Diese Anforderungen im Detail zu verstehen, ist sehr wichtig. Mit langjährigen Erfahrungen aus bestehenden Applikationen und neuen technologischen Konzepten kann dann eine neue Lösung entstehen.

Lang: Ein besonders spannender Weg ist die Erfahrungsübertragung aus den SICK eigenen Produktionsbereichen, wie z.B. die Elektronikkartenbestückung oder die vollautomatisierten Produktionslinien. Hier gibt es viel Inspiration aus der eigenen Optimierung von Prozessen und das kommt wiederum sehr gut bei Kunden an.

Im Zusammenhang mit agilen Entwicklungsprozessen ist oft auch vom „erlaubten Scheitern“ die Rede. Wann und warum scheitern Konzeptsensor-Prozesse und wie unterscheidet sich hier agile Entwicklungsarbeit vom normalen Produktentwicklungsprozess?

Holger Lehmitz: Grundsätzlich gilt die Devise: Erkenne Fehler möglichst schnell und korrigiere sie. Hierfür sind frühe Überprüfungen in der Applikation sehr wichtig. Außerdem müssen sowohl wir als auch der Kunde bei der Erfassung der Aufgabenstellung präzise, offen und ehrlich miteinander umgehen, um wirklich alle Randbedingungen aufzulisten. Denn den wesentlichen Unterschied der agilen Entwicklung zur Standardentwicklung macht sicherlich der Umstand, dass der Kunde intensiver und zu einem früheren Zeitpunkt in den Prozess eingebunden ist.

Sebastian Berblinger, Produktmanagement: Es kann gut sein, dass wir den eingeschlagenen Weg aus verschiedenen Gründen nicht zu Ende gehen. Beispielsweise, weil wir zwischenzeitlich Erkenntnisse gewinnen, die eine Weiterverfolgung nicht sinnvoll machen oder die gewünschte Lösung auf anderem Weg erreicht werden kann. Aber es geht immer in Richtung von etwas wirklich Neuem und das ist der Kernunterschied zu dem, was wir sonst so tun.

Maike Syassen: Ich würde sagen es sind in der Regel drei Gründe für einen Stopp: Erstens: Der Markt ist doch nicht so groß, wie anfangs gedacht. Zweitens: Die Applikationsanforderungen werden nicht gut genug erfüllt. Oder drittens: Die Technik ist noch nicht ausgereift.

Von links: Sebastian Berblinger (Produktmanagement), Tobias Güttler (Vertrieb), Holger Lehmitz (Produktmanagement), Maike Syassen (Produktmanagement), Felix Lang (Research & Development)
Von links: Sebastian Berblinger (Produktmanagement), Tobias Güttler (Vertrieb), Holger Lehmitz (Produktmanagement), Maike Syassen (Produktmanagement), Felix Lang (Research & Development)
Von links: Sebastian Berblinger (Produktmanagement), Tobias Güttler (Vertrieb), Holger Lehmitz (Produktmanagement), Maike Syassen (Produktmanagement), Felix Lang (Research & Development)
Von links: Sebastian Berblinger (Produktmanagement), Tobias Güttler (Vertrieb), Holger Lehmitz (Produktmanagement), Maike Syassen (Produktmanagement), Felix Lang (Research & Development)

Welche Methoden nutzen die Konzeptsensor-Teams für diese Entwicklungsarbeit und welche Teamstrukturen braucht es dazu?

Syassen: Wir arbeiten in iterativen Prozessen. Wir haben in den Projektplänen, wie beim konventionellen Produktentstehungsprozess, auch Gates, an denen sich entscheidet, ob man weitermacht oder aussteigt, aber die Loops, die Iterationen sind kürzer. Und wir bedienen uns agiler Arbeitsmethoden.

Berblinger: Im Idealfall ist agiles Arbeiten von großem Vorteil, weil wir in Etappen vorgehen und auch schon mit Zwischenergebnissen im Markt Feedback einholen. Das ist besser, als in einem groß angelegten Projekt alles klassisch bis zum Ende durchzuspielen und abzuarbeiten, um quasi erst kurz vor Schluss festzustellen, dass die Entwicklung angepasst werden muss. Für agiles Arbeiten braucht es Mut, denn ohne Mut entsteht nichts Neues.

Güttler: Studien belegen, dass der Innovationsgrad in Unternehmen auch mit der Risikobereitschaft korreliert. Jede einzelne Mitarbeiterin und jeder einzelne Mitarbeiter, ob aus R&D, Produktmanagement oder Vertrieb und auch das Management müssen an einem Strang ziehen.

Lang: Das sind dann oft Leute, die besondere Fähigkeiten haben, die beispielsweise Entwicklungen antizipieren und sich trauen, etwas umzusetzen. Wir haben bei SICK einen eigenen Fertigungsbereich etabliert – die „Speed Factory“. Dort arbeiten Fertigungsplaner, die uns dabei unterstützen, Konzeptsensoren mit industrieller Robustheit zu entwickeln, damit wir sie ohne Bedenken aus der Hand geben und das Feedback vom Markt einholen können. In dieser Speed Factory werden neben beherrschten Serienprozessen auch Rapid Prototyping Verfahren eingesetzt.

Die SICK EventCam liefert Bilder oder Videos, die einen definierten Zeitraum aufzeichnen, unmittelbar bevor und nachdem ein Signal ausgelöst wurde.
Die SICK EventCam liefert Bilder oder Videos, die einen definierten Zeitraum aufzeichnen, unmittelbar bevor und nachdem ein Signal ausgelöst wurde.

Welche Beispiele haben wir für Produkte, die als Konzeptsensoren gestartet sind und sich bereits erfolgreich am Markt etabliert haben?

Syassen: Die SICK EventCam liefert Bilder oder Videos, die einen definierten Zeitraum aufzeichnen, unmittelbar bevor und nachdem ein Signal ausgelöst wurde. Der Entwicklungsprozess begann mit der Produktidee einer getriggerten ereignisbasierten Kamera mit deren Hilfe Störungen im Produktionsprozess ermittelt werden können. Auf der Hannover-Messe sprachen wir dazu gezielt geeignete Kunden an, bei denen wir im Betrieb die Kamera weiterentwickeln konnten. Über die schon angesprochenen Feedbackschleifen konnten wir beispielsweise die Software und die Benutzeroberfläche immer stärker optimieren, bis wir die Marktreife zufriedenstellend erreichten.

Lang: Bei dieser Entwicklung haben wir zusammen mit der Speed Factory einen sogenannten Re-Use gemacht. Dabei begeben wir uns konzernweit auf die Suche nach möglichst vielen bereits fertig entwickelten Teilen und Komponenten. So haben wir z.B. Gehäuse, Leiterplatten und Software aus verschiedenen Geschäftsbereichen verwendet. Indem wir vorhandenes Wissen in unser Projekt recycelt haben, konnten wir ein sehr komplexes Produkt schnell auf die Reise bringen. In der Rückschau haben wir daraus die Bestätigung erhalten, dass alle Bereiche bei uns einfach sehr gute Arbeit machen und wir uns aufeinander verlassen und uns volles Vertrauen schenken können.

Berblinger: Auch bei den Spurführungssensoren OLS und MLS starteten wir mit einem bestehenden Produkt, das für die Anwendung von der Hardware her vielleicht sogar über-performant war und haben das für die Aufgabenstellung adaptiert. Innerhalb kurzer Zeit erstellten wir den „Proof of Concept“, die Kunden haben es ausprobiert und getestet. Die schnell erreichte Lösung stellt unsere Kunden sehr zufrieden.

Güttler: Das können wir aus Vertriebssicht nur bestätigen. Gerade in den schnell wachsenden Geschäftsfeldern Intralogistik und Robotik sprechen die Verkaufszahlen eine klare Sprache. Wir wollen den aktuellen Trends, etwa bei den fahrerlosen Transportsystemen und kollaborierenden Leichtbaurobotern, nicht hinterherlaufen, sondern sie mit verkaufsfähigen neuen Produkten aktiv mitgestalten. Genau in diesen dynamischen Anwendungsgebieten wollen wir Konzeptsensoren nutzen.

Provokant gefragt: Wird das Prinzip der Konzeptsensoren jetzt zum Standardverfahren der F&E?

Lang: Der Produktentstehungsprozess wurde überarbeitet. Dabei wurde für solche Konzeptprodukte eine eigene Prozessklasse geschaffen. Das heißt, wenn wir iterativ mit dem Kunden ein Produkt entwickeln wollen, sei es ein Sensor oder eine Dienstleistung, benutzen wir diesen Prozess. Dabei wurde auch ein entsprechendes Mindset mit bestimmten Prinzipien verankert, wie z.B. „fail early, fail safe“, womit man Produktteams ermutigt, neue Wege zu gehen.

Syassen: Der Produktentstehungsprozess für Serienprodukte bleibt natürlich erhalten und auch hier werden wie bei Konzeptsensoren agile Elemente benutzt.

Güttler: Wir sind ja nicht nur in Märkten unterwegs, die hochkomplex sind oder einen hohen Unsicherheitsgrad mit sich bringen, sondern eben auch in Märkten, die wir sehr gut kennen. Mit unserem bewährten Standard-Prozessen haben wir eine hohe Professionalität erlangt – von der Idee, über die Entwicklung zur Markteinführung und hin zur Akzeptanz beim Kunden. Das ist unsere Basis und die ist extrem wichtig. Neue Herangehensweisen sind hier (nur) eine gute Ergänzung

Dank seines großen Lesefelds von 180 mm ist der OLS in der Lage, auch bei höheren Geschwindigkeiten und kleinen Radien stabile Kurvenfahrten zu meistern.
Dank seines großen Lesefelds von 180 mm ist der OLS in der Lage, auch bei höheren Geschwindigkeiten und kleinen Radien stabile Kurvenfahrten zu meistern.

Was ist für Euch das Besondere an dieser neuen Art zu arbeiten?

Syassen: Es ist einfach toll, sofortiges Feedback zu den Dingen, die der Kunde in kurzer Zeit in die Hand bekommt, zu erhalten. Und ich bin wirklich begeistert von unseren schnellen Lernkurven.

Güttler: Ich mag die Herausforderung, mit Mut und Risikobereitschaft die Unsicherheiten und Komplexitäten unserer Arbeit erfolgreich zu managen.

Lehmitz: Man kann aber auch umgekehrt sagen, dass unser Vorgehen von Vorsicht bestimmt ist – denn wir investieren und binden eben nicht zu viel Zeit und Kosten in langfristigen Prozessen. Es braucht eine Vielzahl unterschiedlicher Fähigkeiten und Einstellungen, wie beispielsweise auch Ungeduld und Neugierde, um agiles Arbeiten erfolgreich zu machen.

Lang: Konzeptsensoren geben uns Entwicklern einen sicheren Rahmen, um schnell und unkonventionell Lösungen ausprobieren zu können. Ohne diesen Rahmen würde sich keiner trauen, Konzepte und Produkte so schnell zu entwickeln.

Berblinger: SICK will sich weiterentwickeln und weiter wachsen. Wir wollen neue Geschäftsfelder erschließen und in neue Bereiche vorstoßen. Dafür sind Konzeptsensoren einfach das passende Werkzeug.