Into the wild: Artenschutz mit Sensoren von SICK

10.08.2023

Wenn Geparden Kälber reißen, greift der Farmer zum Gewehr. Welche Lösung eine Gruppe von Biologen für diesen Konflikt von Mensch und Tier fand – und was Sensoren von SICK damit zu tun haben.

Wenn Mensch und Tier um Lebensraum und Nahrung konkurrieren, ist der Konflikt vorprogrammiert – und endet meist zum Nachteil des Tieres. So auch im Falle der Geparden in Namibia. Dort leben rund 1.300 der bedrohten Großkatzen. Ihr Problem: Sie teilen sich das Land mit den Viehherden der dortigen Farmer, und die Kälber bis zu einem Alter von sechs Monaten sind leichte Beute für die verhältnismäßig schwachen Geparden. Kein Wunder also, dass die Farmer in der Vergangenheit zum Gewehr griffen, um ihr Vieh zu schützen. Dass dieser Konflikt eine friedliche Lösung gefunden hat, ist einem Team von Biologen des Leibniz Instituts für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin zu verdanken, das die Geparden in Namibia aufgrund dieser speziellen Situation seit 2005 intensiv erforscht.

Nächste Steckdose 150 Kilometer entfernt

Um mehr über die extrem scheuen Großkatzen herauszufinden, müssen sie jedoch erst mal in Fallen gefangen werden. In Narkose versetzt, werden sie vermessen und gewogen, ihnen wird Blut abgenommen und sie bekommen ein Halsband mit GPS-Tracker, sodass ihre Bewegungen verfolgt werden können.

Dr. Jörg Melzheimer legt einemGeparden ein Halsband mit GPS-Tracker an.
Dr. Jörg Melzheimer legt einemGeparden ein Halsband mit GPS-Tracker an.

"Als ich 2005 auf das Projekt kam, saß ich jeden Tag fünf bis sechs Stunden im Auto und fuhr unsere acht Kastenfallen ab“, erzählt Dr. Jörg Melzheimer, der das Gepardenprojekt leitet. Auf den afrikanischen Schotterpisten war das alles andere als angenehm und kostete viel wertvolle Forschungszeit. „Es musste also eine Lösung her – und zwar eine, die mit Solar und 12 Volt funktioniert, denn mitten in der Wildnis ist die nächste Steckdose 150 km entfernt“, sagt Melzheimer. Also bastelte der technikaffine Biologe über mehrere Jahre an verschiedenen Lösungen; keine davon war rundum befriedigend. Schließlich bestellte er herkömmliche Lichtschranken in China, die die Falle auslösen sollten, per Microcomputer sollte eine entsprechende Nachricht aufs Handy geschickt werden.

Doch es gab ein Problem: „Die Relais der Lichtschranken klickten, sodass sich die schlauen Geparden sofort wieder aus der Falle zurückzogen“, sagt Melzheimer. „So hatten wir noch weniger Chancen, die Tiere zu fangen.“ Nach langem Kopfzerbrechen fragte der Forscher im Frühjahr 2022 dann bei SICK an. „Meine Aufgabenstellung war für einen Sensorhersteller wie SICK wohl eine seiner leichtesten Übungen“, erinnert er sich noch heute amüsiert. „Ich hatte das Gefühl, der Herr am Telefon musste nur in die Schublade greifen, um den richtigen Sensor herauszuholen.“

Eine der acht Kastenfallen, mit denen die Geparden gefangen werden sollen.
Eine der acht Kastenfallen, mit denen die Geparden gefangen werden sollen.

Maximale Power im Miniaturformat

Eigentlich in der industriellen Automation zu Hause, entfaltet der Sensor W4F nun also im namibischen Busch sein volles Potenzial: Er bündelt höchste Leistungsfähigkeit im Miniaturformat und ist unempfindlich gegenüber optischen Einflüssen. „Auch das ist eine enorme Erleichterung, da die alten Sensoren gerne mal die Falltore ausgelöst haben, wenn die Sonne in einem ungünstigen Winkel geschienen hat“, erklärt Melzheimer. „Dann konnten wir gar keine Geparden fangen, weil die Falle zu war.“ Weiterer Vorteil: Die enorme Präzision des W4F sorgt dafür, dass die Fallen ausgesprochen präzise auslösen. So werden ungewollte Beifänge von anderen Tierarten wie zum Beispiel Warzenschweinen zuverlässig ausgeschlossen und auch andere Fehlauslösungen minimiert. Beides war früher oft der Fall.

Das Team wird benachrichtigt sobald eine Falle ausgelöst wurde.
Das Team wird benachrichtigt sobald eine Falle ausgelöst wurde.

Szenetreff der Geparden

Eigentlich könnte unsere Geschichte mit dieser erfreulichen Meldung enden – wir kehren jedoch noch einmal zurück zur Lösung des Konflikts mit den Farmern: Aus ihren groß und langfristig angelegten Forschungen – im Laufe der Jahre wurden rund 250 Geparden in Namibia mit GPS-Sendern ausgestattet – gewannen Melzheimer und sein Team eine ebenso unerwartete wie wertvolle Erkenntnis, die der Schlüssel zur Lösung des Mensch-Tier-Konflikts werden sollte: „Indem wir die Bewegungen der Geparden aufgezeichnet haben, fanden wir heraus, dass sie sogenannte Communication Hubs haben“, erklärt Melzheimer. „Das sind spezielle Orte, an denen sie sich treffen – vergleichbar einer Szenebar für Menschen.“ Weil Geparden Einzelgänger sind und eine eher geringe Populationsdichte haben, muss sich die Natur etwas einfallen lassen, um den Arterhalt zu sichern. „An den Communciation Hubs suchen sich die Tiere passende Sexualpartner aus“, erklärt Melzheimer.

Geparden haben Communication Hubs, an denen sie sich treffen.
Geparden haben Communication Hubs, an denen sie sich treffen.

Etwas Ähnliches gibt es auch bei anderen Tierarten wie etwa dem Rothirsch – da allerdings nur zur Brunftzeit. Die Geparden frequentieren ihre Treffpunkte das ganze Jahr über – ein Verhalten, das laut Melzheimer bisher bei keiner anderen Tierart bekannt sei. Dass dieses außergewöhnliche Raumnutzungsverhalten über den Zeitraum von 2010 bis 2020 so intensiv erforscht werden konnte, war eine Ausnahme: Laut Melzheimer sind solche Erkenntnisse in den meisten Fällen aufgrund der kurzen Dauer von Forschungsprojekten oder der geringen Anzahl an beteiligten Tieren gar nicht möglich. Und es lohnte sich: Die Erkenntnisse waren nicht nur ein spektakulärer Gewinn für die Wildtierforschung, sondern auch ein Segen für die Geparden: „Die Communication Hubs sind mit rund 25 Kilometer Abstand recht gleichmäßig über die Landschaft verteilt und ändern sich kaum, wenn die Geparden nicht gestört werden.

Es werden rund 80 Prozent weniger Kälber gerissen, als zuvor.
Es werden rund 80 Prozent weniger Kälber gerissen, als zuvor.

Wissen die Farmer, wo sich die Treffpunkte befinden, können sie ihre Herden so auf dem Weideland verteilen, dass Mutterkühe und Kälber weit genug entfernt und die Kälber nicht gefährdet sind“, erklärt Melzheimer. Dem Team gelang es, die Farmer davon zu überzeugen, dass dieses Vorgehen die richtige Alternative zum Abschuss ist. „Die Tiere zu schießen ist sogar kontraproduktiv, da sie ihre Treffpunkte dann verlegen würden und keine Planbarkeit mehr gegeben wäre“, sagt Melzheimer.

Der Plan ging auf: Heute bekommen die Farmer Karten mit den Communication Hubs und platzieren ihre Herden entsprechend auf ihrem Land – was in der Regel bei einer durchschnittlichen namibischen Farmgröße von rund 5.000 Hektar kein Problem ist. Die erfreuliche Bilanz: Es werden rund 80 Prozent weniger Kälber gerissen als in der Zeit, bevor die Farmer dieses Wissen anwendeten.

Patentierte Lebendfalle

Schöner kann eine Geschichte eigentlich kaum enden – dennoch wollen wir noch einmal zu den SICK-Sensoren zurückkehren: Zwar waren diese an der Lösungsfindung für den Geparden-Farmer-Konflikt nicht unmittelbar beteiligt, doch markiert ihr Einsatz einen Wendepunkt in der Wildtierforschung, indem sie diese deutlich effizienter, effektiver und schonender macht.

"In meinen Augen haben die Sensoren von SICK den Fang von Wildtieren für die Forschung aus dem 18. ins 21. Jahrhundert katapultiert“, freut sich Jörg Melzheimer. „Unsere ‚Smart Trap‘ wurde Anfang 2023 sogar patentiert und kommt inzwischen auch in anderen Forschungsprojekten zum Einsatz.“ Wie wichtig diese Forschung für Mensch und Tier ist, hat die Geschichte von den Geparden und den Farmern eindrucksvoll bewiesen. Schön, wenn SICK mit Sensoren einen kleinen Teil zu dieser Forschung, zum Artenschutz und vielleicht sogar zum friedlichen Zusammenleben von Mensch und Tier beitragen kann.

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