Batteriesysteme mit Weitblick

23.09.2025

Interview zur prozesssicheren Fertigung – ohne C-Norm

Kurzschluss, Hochvoltgefahren, thermisches Durchgehen – die Herstellung von Batteriesystemen aus geladenen Batteriezellen ist ein hochkritischer Prozess. Für die Fertigungsanlagen von Batteriesystemen, wie sie beispielsweise in der Elektromobilität eingesetzt werden, gibt es keine C-Norm. Doch woran sollen sich Maschinenbauer und Betreiber beim Bau oder Retrofit prozesssicherer Maschinen und Anlagen für Batteriesysteme orientieren? 

Im Gespräch beleuchten Ulrich Hochrein, Leiter Sicherheitstechnische Dienstleistungen bei der EDAG Production Solutions GmbH & Co. KG in Fulda, und Andreas Center, Sales Manager Automotive & Electronics, sowie Meik Kettinger, Key Account Manager Automotive & Electronics, bei der SICK Vertriebs-GmbH in Düsseldorf, die prozess- und sicherheitstechnischen Besonderheiten bei der Montage von Batteriesystemen und dem Recycling von Batteriesystemen.

 
An engineer in front of an electric car
An engineer in front of an electric car

Welches sind die größten Herausforderungen und Gefahren bei der Herstellung von Batteriesystemen?

Ulrich Hochrein, EDAG Production Solutions GmbH & Co. KG
Ulrich Hochrein

Ulrich Hochrein: Grundsätzlich müssen bei automatisierten Batterieproduktionsanlagen die gleichen Anforderungen an die Maschinensicherheit, wie bei anderen Maschinen auch, gestellt werden. Durch das zu fertigende Produkt ‚Batteriesystem‘ kommen aber zusätzliche Anforderungen hinzu. Dadurch, dass die Batteriesysteme mit teilgeladenen Batteriezellen montiert werden, können Fehler in der Produktionstechnik ungleich kritischer ausfallen, da Brand -und Explosionsgefahren durch die Batteriezellen oder Batterieelemente hinzukommen. Je nach verwendeter Zellchemie der Batteriezellen variiert das Risiko. So könnte ein einfacher Fehler durch einen mechanischen Roboter, der eine Batteriezelle mechanisch beschädigt, einen sogenannten ‚Thermal Runaway‘ auslösen. Gleiches gilt auch für Kurzschlüsse an den Batteriezellen. Neben den Brand -und Explosionsgefahren, die schwer beherrschbar ausfallen, können hoch kritische Substanzen, die explosiv, oder krebserregend sind beziehungsweise auch eine Genmutation hervorrufen können, freigesetzt werden, die Mitarbeiter gefährden und Anlagentechnik und Produktionshalle kontaminieren können.

Wie können solche Gefahren erfolgreich bewältigt und eingedämmt werden?

Andreas Centner, Sales Manager Automotive & Electronics, SICK
Andreas Centner

Andreas Centner: Zunächst einmal spielen hier, wie auch in anderen Bereichen und Branchen der Fabrikautomation, fortschrittliche Sensoren, Automatisierungslösungen und Sicherheitstechnologien eine zentrale Rolle. Ziel ist es Produktionsprozesse kontinuierlich zu überwachen und mögliche Gefahren zu vermeiden oder rechtzeitig zu erkennen. Dadurch wird eine grundsätzlich sichere und effiziente Produktionsumgebung geschaffen. 


Ulrich Hochrein: Wichtig ist, das Risiko richtig einzuschätzen und mit den Erkenntnissen der Risikobeurteilung die Anlage integer zu planen. Dazu ist es entscheidend, schon bei der Anlagenplanung wichtige Informationen zu erhalten. Das betrifft die Batteriesysteme selbst, beispielsweise deren Dimensionen und enthaltene Zellchemie, aber auch die Frage, inwieweit bereits die Transportverpackung so gestaltet ist, dass sie eine reproduzierbare Positionierung des Batteriesystems an einem automatischen Entnahmeroboter mit Sicherheitsaspekten gewährleistet. Auch wenn die Produktionentechnik vergleichbar mit anderen Maschinen ist, wird die Batteriemontageanlage kostenintensiver als vergleichbare Maschinen ausfallen. Das fängt mit Platz- und Zeitzuschlägen in der Logistik an, wenn zum Beispiel Batteriezellen mit fahrerbedienten Gabelstaplern transportiert werden müssen. Ebenso sollten die Flurförderzeuge auf den aktuellen Stand der Technik sein. Die Automationstechnik muss so gestaltet werden, dass Fehler in der Produktionstechnik Batteriezellen und teilmontierte Batteriesysteme nicht schädigen können. Das kann in einigen Punkten sehr aufwendig ausfallen und verursacht neben Komponentenkosten auch Zusatzkosten für Einrichtung, Dokumentation und Validierung der Systeme. Abnormale Zustände müssen ohne Zeitverzug durch zusätzliche Sensorik erkannt werden. Ausschleusmöglichkeiten und die Bereitstellung von Havarie Behältern sowie andere Sonderfunktionen müssen als Ergebnis der Risikobeurteilung umgesetzt werden. Zusätzlich sollte auch die Betriebsorganisation anders aufgestellt werden. Hochvolt-Beauftragte und Havariebeauftragte müssen zu allen Zeitpunkten darauf vorbereitet sein, dass eine Havarie so weit möglich vermieden wird und wenn Sie eintritt, die Folgen so klein wie möglich ausfallen. 

 
A battery cell
A battery cell

Welche besonderen Gefahren gehen von Havarien in der Fertigung aus? 

Ulrich Hochrein: Wenn wir von einer Havarie sprechen, gehen wir meist von Batterieelementen aus, die sich im Zustand ‚Thermal Runaway‘ befinden. Dies ist eine sich selbst verstärkende, exotherme chemische Reaktion der Batterieelemente, wobei schnell sehr hohe Temperaturen erreicht werden und das Szenario sich schnell auf weitere Batterieelemente fortsetzt. Die chemi-schen Stoffe in der Batteriezelle, die zum Teil reaktiv, toxisch und feuergefährlich sind und die zusätzlich sehr hohe Energiedichte haben, ergeben ein hohes Risikopotential. Solche Zustände sind keine lokalen Ereignisse mehr, sie betreffen den gesamten Brandabschnitt oder Produktionshalle. Die Anzahl der gefährdeten Mitarbeiter steigt schnell an, die wirtschaftlichen Schäden ebenso. Auch nach dem Vorfall kann in der Regel nicht einfach weiter produziert werden, da Produktionsbereiche unter Umständen erst aufwendig dekontaminiert werden müssen.

 

Welche Rolle spielt Sensorik bei der Produktionssicherheit, zum Beispiel im Rahmen der Echtzeit-Prozessüberwachung? 

Meik Kettinger
Meik Kettinger

Meik Kettinger: Für Batteriehersteller ist es besonders wichtig, die Sicherheit in allen Phasen der Produktion zu gewährleisten, da die Materialien und Prozesse oft mit hohen Risiken verbunden sind. Daher geht es ihnen darum, Havarien zu vermeiden oder in einem frühestmöglichen Stadium zu erkennen. Echtzeitfähige Sensorik spielt da eine entscheidende Rolle. Bei SICK setzen wir auf unter anderem. auf Kamerasensoren zur Fremdkörpererkennung sowie auf Thermografiesensoren zur Hotspot-Detection, die nahtlos in die Produktionssysteme integriert sind. Diese Sensoren überwachen kontinuierlich die Batteriesysteme und deren Umgebung, melden potenzielle Gefahren innerhalb von Millisekunden und ermöglichen sofortige Maßnahmen, um Havarien und deren Folgen zu verhindern. Durch die genaue Einschätzung der Gefahren können wir passgenaue Überwachungslösungen installieren, die nicht nur die Sicherheit erhöhen, sondern auch die Effizienz der Produktionsabläufe verbessern.

Ulrich Hochrein: Gerade die berührungslose Temperaturüberwachung auf größere Entfernung mit dem Static Hotspot Detection System (SHD) von SICK ist eine wirkungsvolle Maßnahme zur Prozessüberwachung, denn die Erhitzung eines Batteriesystems ist immer der erste Gefahrenhinweis. Ob durch einen internen Fehler, zum Beispiel Kurzschluss, oder durch äußere Einwirkung, die Auswirkung ist immer zuerst eine exotherme Erhitzung. Gefolgt von einem Druckanstieg im Batteriesystem sowie dem Austreten von Rauch und Gas. Die SHD funktioniert direkt oder mithilfe zusätzlich aufgebrachter Thermomaterialien bei nahezu allen Gehäuseoberflächen. Innovative Produkte sind ein wesentlicher Bestandteil der Sicherheitskonzepte, die von EDAG-PS ausgearbeitet und umgesetzt werden. Grundsätzlich verfolgt die Risikobeurteilung in den Batteriefertigungsanlagen die folgende Strategie: Erstens ist die Automationstechnik so auszulegen, dass Batterieelemente nicht geschädigt werden. Zweitens erfolgt eine schnelle Erkennung abnormaler Zustände in Anlage und Batterieelementen. Drittens ist ein Thermal Runaway zu verhindern. Falls das nicht vermeidbar ist, sind ggf. Schadensfolgen zu minimieren. 

 

Recycling ist ein wichtiges Stichwort: Wo sehen Sie insbesondere hier Besonderheiten, Probleme oder auch Herausforderungen? 

Ulrich Hochrein: Lassen Sie mich mit ein paar Zahlen beginnen, die die Relevanz von Recycling verdeutlichen. Bis zu 70 Prozent der Kosten eines Batteriesystems sind Materialkosten. Der Anteil der Materialien, die im Ausland beschafft werden müssen, ist nochmal deutlich höher. Das heißt, Re-Use von Batteriesystemen und Recycling haben neben der ökologischen und ökonomischen eine geopolitisch-volkswirtschaftliche Bedeutung. Vorteilhaft für die Recyclingmarkt ist, dass sich gut abschätzen lässt, welche Recyclingtonnagen in absehbarer Zeit auf sie zukommen werden. Dennoch arbeiten nur wenige Betriebe aktuell kostendeckend. 

Zudem stehen Unternehmen aktuell vor Herausforderungen. Für die Recyclinganlagen von Batteriesystemen gilt das Gleiche wie für die Fertigungsanlagen, es gibt noch keine C-Norm dafür. Ebenso haben auch die Aufsichtsbehörden Probleme mit der Bewertung der Technik, was im laufenden Betrieb der Anlagen zu Diskussionen und Nachrüstungen führen kann. 

Hinzu kommt, dass aktuelle Generationen von Batteriesystemen für die Verwendung in Fahrzeugen designt und optimiert wurden, aber nicht für einfaches Recycling. Wer heute Batterien recycelt, steht beispielsweise vor scheinbar simplen Fragen: Wie öffne ich die Batterie? Welche Zellchemie ist enthalten? Wie ist der elektrische Zustand? Was hat die Batterie schon alles ‚erlebt‘? Insgesamt stellen Sammlung, Transport, Entladung, Demontage und Materialtrennung von Batteriesystemen besondere Herausforderungen dar. Hier können politische Vorgaben an einigen Stellen Erleichte-rungen verschaffen. Die Technik schreitet auf jeden Fall allemal voran. Während in aktuellen Recyclingprozessen von den theoretisch möglichen 96 Prozent nur ca. 50 Prozent der Materialien verwertet werden, erreichen neue Verfahren schon über eine 90-prozentige Recyclingquote. 

Andreas Centner: In der EU hat man die Thematik erkannt und fördert mit der am 18. Februar 2024 in Kraft getretenen EU-Batterieverordnung (EU) 2023/1542 unter anderem auch die Sammlung, Wiederverwendung und das Recyclings von Batterien. So setzt die Verordnung kla-re Recyclingeffizienzziele und fordert den Einsatz recycelter Materialien in Batterien, um die Nach-haltigkeit zu fördern. Zudem müssen bestimmte Batterietypen ab Februar 2027 mit einem digitalen Batteriepass ausgestattet sein, der über einen QR-Code verfügt und umfassende Informationen über die Batterie bereitstellt. Damit sollten sich Fragen und Herausforderungen, wie sie Ulrich Hochrein aus der aktuellen Recyclingpraxis benannt hat, in Zukunft so beantworten lassen, dass Reyclingprozesse sachgerechter und sicherer werden.

 

Quality control of a battery in a car production
Quality control of a battery in a car production

Wie wird sich Ihrer Meinung nach die Batteriefertigung in den nächsten Jahren entwickeln? Sehen Sie besondere Herausforderungen und was muss die europäische Batterieindustrie tun, um gegen die Marktführer zu bestehen, auch die globalen? 

Ulrich Hochrein: Der Trend zur E-Mobilität mag aktuell zwar abgeschwächt sein, wird aber länger-fristig stark anziehen, zumal Batteriespeichertechnologien so günstig sind wie nie. Schauen wir in den Bereich Energiegroßspeicher: Kostete im Jahr 2010 eine Kilowattstunde Batteriespeicher noch 1.200 Euro, so sind wir heute bei 130 bis 120 Euro angelangt – mit der Tendenz zu 90 Euro in etwa fünf Jahren. Das bedeutet, dass weitere Fertigungs- und Recyclinganlagen für Batteriesysteme gebaut werden, die den kommenden Bedarf abdecken. Ebenfalls ist damit zu rechnen, dass neue Batteriekonzepte und neue Zellchemien hinzukommen werden. Dieses wird auf die Leistungsfä-higkeit und Sicherheit von Anlagen und Systeme starke Auswirkungen haben. Sicher werden auch gesetzliche Regelungen, ggf. auch C-Normen, entstehen und Themen standardisieren. Insgesamt werden Deutschland und Europa besser, nachhaltiger und intelligenter produzieren müssen, um im globalen Batteriewettlauf eine größere Relevanz zu erreichen.

Andreas Centner: Die deutsche und die europäische Batterieindustrie steht im Wettbewerb mit globalen Marktführern insbesondere aus China, Südkorea und den USA. Um langfristig wettbe-werbsfähig zu bleiben und technologische sowie wirtschaftliche Souveränität zu sichern, muss sie gezielt in mehreren Schlüsselbereichen handeln. Für einige davon bietet SICK bereits Lösungen an. Hierzu gehören Produkte und Systeme der Automatisierungs- und Sicherheitstechnik, wie sie für den Auf- und Ausbau weiterer Produktions- und Recyclingkapazitäten erforderlich sind. Mit in-telligenten Sensoren und Steuerungen ermöglicht SICK eine effiziente Fertigung mit Industrie-4.0-Technologien, während unsere Identtechnologien auch für die Rückverfolgbarkeit von Batteriesystemen eingesetzt werden können. Wenn es der Batterieindustrie gelingt, durch strategischer Partnerschaften sichere Lieferketten aufzubauen, Forschung und Entwicklung zu intensivieren und dabei Pilot- und Demonstrationsprojekte schneller zu skalieren sowie Regulierung und Nachhaltig-keit als Stärke nutzen, haben Deutschland und Europa gute Chancen im globalen Batteriewettlauf. Auf die ebenfalls erforderliche Senkung von Energiepreisen und Sicherung der Infrastruktur hat die Branche keinen direkten Einfluss. Das sind Rahmenbedingungen, die politische Entscheidungen erfordern.

 

Wie und warum arbeiten EDAG und SICK so erfolgreich als Geschäftspartner zusammen? 

Ulrich Hochrein: Ich bin jetzt 35 Jahre bei EDAG und habe in den ersten zehn Jahren Anlagen im Feld in Betrieb genommen. In all den Jahren haben meine Kollegen und ich bei EDAG mit SICK die Erfahrung guter Betreuung, schneller Hilfe bei technischen Schwierigkeiten, direktem Service und ehrlicher Kommunikation gemacht. Die Produkte sind vor allem sauber dokumentiert, was gerade für die Planung komplexer Anlagen enorm hilfreich ist. 

Meik Kettinger: Unsere Zusammenarbeit ist schon seit vielen Jahren eine Partnerschaft, ein Miteinander auf Augenhöhe. Jeder profitiert vom besonderen Know-how des anderen. Das nehmen natürlich auch unsere gemeinsamen Kunden zur Kenntnis, wenn wir zusammen mit ihnen Projekte umsetzen. EDAG und SICK liefern eine Lösung, quasi aus einer Hand. Dies ist die entscheidende Voraussetzung, um auch gemeinsam den Auftrag zu erhalten.